Sein oder Schein – Zielgruppen-Analyse

Immer wieder wird behauptet, dass Zielgruppen-Analyse in der Praxis von technischen Redaktionen keine Rolle spielt. Wahrscheinlich beruht diese Behauptung auf individuellen Erfahrungen. Nun hat meine Umfrage „Zielgruppe-ein unbekanntes Wesen?“ ein anderes Ergebnis geliefert. Fast alle der Befragten gaben an, sich mit der Zielgruppe ihrer Dokumentation auseinanderzusetzen. Wie ist dieser Widerspruch zu bewerten oder besteht vielleicht gar keiner? Verstehen wir vielleicht alle etwas unterschiedlich unter Zielgruppe sowie unter Zielgruppen-Analyse und kommen daher zu unterschiedlichen Einschätzungen?

Zielgruppe = Anwender
In dem Sammelband zur Zielgruppe geben die Autoren unterschiedliche Erklärungen ab, was sie unter der Zielgruppe der Dokumentation verstehen. Mehr oder wenig einig sind sich die Autoren, dass sich die Zielgruppe der technischen Dokumentation von der Zielgruppe des Marketings, Vertriebs unterscheiden. Unsere Zielgruppe sind die (tatsächlichen) Anwender der technischen Produkte oder Servicetechniker sowie Support-Mitarbeiter. Die Kollegen des Marketings und des Vertriebs interessieren in der Regel mehr die potentiellen Käufer und deren Kaufverhalten. Sie richten ihr Blick daher verstärkt auf soziologische, demographische Merkmale.

Zielgruppen-Analyse = Separieren und Zusammenfassung
„Personen in Zielgruppe zu separieren bedeutet, darauf zu spekulieren, dass Zielgruppen homogener als die Gesamtheit ansprechbar sind und auch homogener reagieren. Eine Zielgruppe ist homogen, wenn sie aus Personen mit gleichem Kenntnisstand, vergleichbaren Persönlichkeitsvariablen und gleicher Lese- und Handlungsabsicht besteht (Anne Lehrndorfer S. 114 ).“ Unklar bleibt, woher wissen wir welcher Anwender (welche Anwenderin) sich mit welchem Kenntnisstand o. ä. unseren Texten nähert. Gleichzeitig ist der Hinweis von Martin Häberle richtig, dass wir in der Regel ja nicht für eine Nutzergruppe dokumentieren, sondern für sehr unterschiedliche Personen. Außerdem weisen Clemens Schwender wie auch Ulrike Peter in ihren Beiträgen zum Sammelband zu Recht daraufhin, dass Instruktionen, die von einer spezifischen Zielgruppe (ältere Menschen oder Personen mit Einschränkungen) als komfortabel und gut empfunden werden, auch für andere Leser geeignet sind. Ich denke, das Entscheidende ist nicht eine abstrakte Zielgruppen-Analyse mit dem Anspruch, dass wirklich alle unterschiedlichen Zielgruppen erkannt werden, sondern dass wir uns schlicht und einfach mit den verschiedenen Gruppen beschäftigen und möglichst Kontakt zu Zielgruppen-Vertretern aufnehmen.

Zielgruppen-Beschäftigung
Die Befragten der Zielgruppen-Umfrage geben an, dass sie in den letzten 12 Monaten ein oder mehrmals Kontakt zu Vertretern der Zielgruppe hatten. Dies bedeutet nicht, dass sich die Redakteure abstrakt mit Kriterien der Zielgruppen-Separierung o. ä. beschäftigt haben, sondern z. B. Gespräche geführt haben. Diese Vermutung stimmt auch damit überein, dass nur wenige Redakteure Methode wie Persona oder Was-macht-Wer-Matrix einsetzen, auch wenn sie diese kennen.

Aussagekraft der Umfrage
Mir ist bewusst, dass 65 technische Redakteure, die sich an meiner Umfrage beteiligt haben, nicht die Gesamtheit der technischen Dokumentation widerspiegeln. Ebenso vermute ich, dass sich eher Kollegen teilgenommen haben, die sich für ihre Zielgruppen interessieren, als solche, die denken, schon alles zu wissen.

Fazit
In der Praxis von technischen Redaktionen ist wahrscheinlich nicht die Zeit für eine umfassende Analyse der Zielgruppen. Um dem Anspruch zu genügen, eine umfassende Analyse aller Anwender durchzuführen, sind umfangreiche Umfragen mit Produktnutzern notwendig. Es sei angemerkt, dass auch Umfragen keine Garantie der Vollständigkeit sind. Was tun? Mut zur Lücke.
Aus meiner Sicht ist es wichtig, sich Gedanken über Zielgruppen zu machen, dabei können im ersten Schritt Methoden wie Persona oder Was-macht-Wer-Matrix helfen. Ergänzt werden sollten sie durch den persönlichen Kontakt zu Vertretern der Zielgruppe(n), Gespräche sollten kontinuierlich geführt werden. Wenn wir Dokumente für Fachleute schreiben, gilt es sich mit deren Sprache etc. auseinanderzusetzen. Dabei habe ich gute Erfahrungen mit der Persona-Technik gemacht, dabei ist es wichtig, dass die Auseinandersetzung ohne Wertung erfolgt.
Es geht nicht um eine Analyse um die Analyse wegen. Die Auseinandersetzung mit der Zielgruppe muss in die Texterstellung unter Berücksichtigung der kommunikativen Grundregeln münden. In Gesprächen mit Vertretern der Zielgruppe sind dann die Ergebnisse der Textproduktion bzw. Textauszüge zu besprechen. Aus meiner Sicht ist die Zielgruppen-Beschäftigung Teil der Textreflexion.
Wenn Sie Unterstützung bei der Zielgruppen-Analyse haben, freue ich mich Ihnen zu helfen. Vielleicht ist auch ein Inhouse-Workshop für Sie interessant. Sprechen Sie mich an: ed.sreog-attirb@ofni oder 0151 16512182.

Quellen aller erwähnten Beiträge:
Sammelband: Hennig, Jörg / Tjarks-Sobhani, Marita (Hrsg.) (2013): Schriften zur Technischen Kommunikation. Bd. 17 : Zielgruppen für Technische Kommunikation. Lübeck, Schmidt-Röhmhild
Blogbeitrag von Martin Häberle siehe: http://www.lesegefahr.de/2013/01/sind-zielgruppen-zielfuehrend/#more-2420

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